Montag, 17. Dezember 2007

Ausklang

Endlose Duenenlandschaften entlang der Kueste Maranhaos (der Bundesstaat von Sao Luis) waren in den vergangenen zwei Tagen mein letztes Reisehighlight. Mit Leandro habe ich die Lençóis Maranhenses - ihrer weissen sanften Huegel wegen "Decken Maranhaos" genannt - besucht, vier Stunden oestlich von Sao Luis gelegen (Fotos; Kommentare schaffe ich leider nicht mehr). Auch das vorhergehende Wochenende war mit Ausgehen, Fischen, um show (grosses Partykonzert zur Karnvelsvorbereitung mit den Salvadorschen Stimmungsbomben Chiclete com Banana), Strand, Sao-Luis-Sightseeing, Fussball und derlei so schoen hektisch vollgepackt, wie ich es mir fuer die letzten Tage gewuenscht habe. Dass zum Schluss alles so dicht gedraengt war, lag auch daran, dass wir beide an den Tagen vor dem Wochenende platt dagelegen waren. Die Erkaeltung einfach zu ignorieren und intensiv Sao Luis zu erleben, wie im letzten Eintrag beschrieben, hat naemlich nur vier Tage geklappt. Dann mussten wir - denn auch Leandro hatte eine sehr schoene Erkaeltung, und auch der Kombination mit einem herrlichen Supersonnenbrand wegen - unserem Koerper Tribut zollen. Aber jetzt haben wir alles so schoen nachgeholt, dass die Zeit bei Leandro, bei dessen Familie ich mich wie zuhause gefuehlt habe, ein wunderschoener Abschluss meiner Reise war!

La vuelta del Latino-Tobe

Jetzt packe ich schnell meine Sachen zusammen, bevor ich morgen erst nach Rio fliege, dort naechtige und dann weiter nach ueber Madrid nach Frankfurt fliege. Heimatlichen Rheinmainboden werde ich am Freitag um 14.20 Uhr betreten. Meine Maschine ist die Iberia IB 3514 aus Madrid, falls sich jemand zufaellig im Terminal 2 aufhaelt... Wie kurz und lang es her ist, als ich mit Serge in Terminal 2 oben im Essensareal mit Blick auf die Startbahn sass und mich ueber den nicht wenig homophil wirkenden Sohn am Nachbartisch lustig gemacht habe!

Meine Reise

Von Santiago nach Sao Luis.
Vom peruanischen Gletscher zum Zuckerhut.
Von der Wueste an der Pazifikkueste in den Dschungel.
Von den kunterbunten Indiomaerkten La Paz' zu den schicken Boutiquen Palermos.
Von der surrealen weissen Salzwueste ueber die tosenden weissen Wasserfaelle zu den endlosen weissen Duenen.
Von Copacabana am Titicacasee nach Copacabana am Atlantik Rios.
Vom Aequator zum Aconcagua, dem hoechsten Berg der westlichen Hemisphaere.
Von den Ruinen der Inkas zu den Kolonialstaedtchen der Portugiesen.
Von Lamas ueber Alligatoren und Piranhas zu Inselaeffchen.
Vom halb abgefrorenen Daumen und Hoehenlufttaumel zum Sonnenbrand.
Von Sandboarden ueber Gleitschirmfliegen zu Gletscherspaltenspringen.
Von der totalen Erschoepfung auf dem El Misti zur totalen Entspannung an den brasilianischen Straenden.
Von der Montanitastrandparty ueber Buenos Aires' Clubs zu Carnatal.
Von Palta und Completo ueber Mercardo-Almuerzos und argentinische Steaks zu Feijoada.
Von Tillmann ueber Teresa, Juan, Otis, Clare, Gisela, Steffi, Hannes, Jorge, Luciana, Pedro, Andreas und Wilnia zu Leandro. Und zu mir.

Wie toll ich diese Reise fand, wie eindrucksreich mit allem, was mein Herz begehrte, wieviel sie mir gegeben hat, dass es vielleicht das Geilste war, was ich je gemacht habe, haben Euch wohl Blog und Fotos gezeigt. Jetzt freue ich mich aber sehr auf die letzten Tage eines meiner schoensten Jahre (yesyes zweitausendsieben!) zuhause, auf den Frankfurter Boden, auf dem ich landen werde, die kurze Fahrt nach Mainz, ueber die Weisenauer Bruecke ueber meinen Lieblingsfluss, rechts Zementwerk und weiter hin Dom und Christuskirche, links Laubenheim. Wie hat ein bekannter und reiseerfahrener rheinhessischer Schoengeist formuliert: Heimkommen is der schönste Teil am Reisen, selbst wenns Wetter scheiße is. Freitagabend sehen wir uns hoffentlich in der kleinen Halle im KuZ, falls Ihr gerade in Mainz seid!

Muchas gracias y muito obrigado!

Es hat mich immer sehr gefreut, dass so viele von Euch meine Reise verfolgt haben! Vielen Dank fuer Euer Lesen, Eure E-Mails und Eure Kommentare! Wir sehen uns dann bei Teil 2 in ein paar Jahren...

Montag, 10. Dezember 2007

São Luís

Leandro habe ich Donnerstagnacht zusammen mit seiner Familie vom Flughafen in São Luís abgeholt. Ein sehr aufregender und spannender Augenblick: Ende Juni hatte ich ihn fuer drei Tage in Hildesheim besucht (auch das ein sehr aufregender und spannender Augenblick, denn sieben Jahre zuvor hatte ich in diesem unscheinbaren Staedtchen meinen ersten eindrucksvollen Niedersachsenkontakt gehabt) und wir hatten ueber die Zeit hier in São Luís fantasiert, die damals so unglaublich weit weg schien angesichts all dessen, was dazwischen noch kommen wuerde. Und was jetzt dazwischen noch alles kam! Und jetzt habe ich es tatsaechlich zu ihm geschafft (Fotos)!

Saúd

Ich selbst war anderthalb Stunden vor Leandro in Sao Luis (was man uebrigens nicht wie Saarlouis, sondern "Sao" (das a geht sehr, sehr nasal ins o ueber) "Lu-IS" (zwei Silben, Betonung auf der zwoten) ausspricht) angekommen, nach meiner laengsten Busreise am Stueck, ueber 32 Stunden fuer die 1.600 Kilometer von Natal. Hatte mich das Busfahren vorher eigentlich nicht gestoert, ja war es bisweilen sogar eine angenehme Weise die Landschaften zu erfahren gewesen und halte ich aus unerklaerlichen Gruenden grosse Stuecke auf meine Odysee von Quito nach Santiago, so habe ich jetzt doch, nach den langen Reisen durch Brasilien zum Schluss, die Nase recht voll davon. Auf der sehr langen Fahrt von Natal hatte ich mir durch die unangenehm kalte Klimaanlage (bei jeder Pause ein Schock, wenn man aus dem Bus in die 30+ Grad aussteigt) eine Erkaeltung zugezogen. Die erschien mir besonders unangenehm, weil ich kranksein gar nicht mehr gewoehnt bin (und meine Wehleidigkeit so gestiegen ist), schliesslich habe ich das letzte halbe Jahr, bis auf ein paar vernachlaessigbare Magenunstimmigkeiten in Bolivien und Peru, in bester Gesundheit verbracht (auch wenn es nicht wenige Tage gab, an denen ich sehr fertig war...). (Der Latinotobetrick ist, immer schoen viel Pommes Frites zu essen und Quilmes, Brahma, Cuscena und frischgepressten Osaft zu trinken!) Aber es war leicht, die Erkaeltung einigermassen zu ignorieren, denn bei den Balbys, das ist Leandros Familie, habe ich mich gleich zu Beginn sehr, sehr wohl gefuehlt. Und eine interessante neue Erfahrung war es auch, sich in Badehose bei 32 Grad am Strand auszukurieren und dabei aufzupassen, dass man nicht auch noch Sonnenbrand kriegt.

Minha Familia

Leandros Familie lebt in São Luís in einem grossen Haus mit Pool, Papayabaeumen und Kokosnusspalmen direkt am Strand. Leandro hat zwei Brueder in unserem Alter, Eduardo und Thales. Und ausserdem eine nicht-abzaehlbare Menge an Primos und Primas (Kussengs und Basen). Samstag war Feijoada im "kleineren" Kreis, wie Leandro meinte, und es kamen im Laufe des Tages nur vierzig Verwandte, um den typisch brasilianischen Bohneneintopf zu essen. Alle waren unglaublich nett und aufgeschlossen zum "alemao", so dass ich mich wie ein Teil der Familie fuehlte (teilweise etwas wie der Nixblicker der Familie, meinem nur langsam Fortschritte machendem Portugiesisch geschuldet). Sonntag fand gleich der Gegenbesuch mit Grillen bei einem anderen Teil der Familie statt. Heute Mittag waren wir am Strand und haben Fussball gespielt und Guaraná-, Murici- und Goiabasaefte getrunken, ein jeder sehr spritzischleggae, un´ soo gesund! Jetzt erholen wir uns von der vielen Sonne, denn sowohl der germanisierte Brasilianer als auch der latinisierte Deutsche haben einen ausgepraegten Sonnenbrand.

Dienstag, 4. Dezember 2007

Nordeste

Von Rio de Janeiro bin ich vor zehn Tagen in Richtung brasilianischer Nordosten (Fotos) aufgebrochen, um mit dem vergangenen Wochenende eines meiner geilsten solchen auf der Suedhalbkugel erleben zu duerfen. Los ging´s wie sooft mit dem Nachtbus ins kleine, aber sehr feine Ouro Preto im Landesinneren von Brasilien, sieben Stunden von Rio entfernt.

Schwarzes Gold

Waehrend Rio de Janeiro im 18. Jahrhundert keine 50.000 Einwohner hatte, zaehlte Ouro Preto zu seiner damaligen Bluetezeit ueber 100.000 Einwohner und war somit eine der groessten Staedte Amerikas damals (Neuyork zum Beispiel war viel, viel kleiner). Diese Bluete hatte es den Unmengen an Gold zu verdanken, die dort gefunden wurden. Ausser einem sehr schoenen alten Stadtkern und einer Menge huebscher, aber fuer verwoehnte Europaer nicht beeindruckender Kirchen hatte Ouro Preto und auch ganz Brasilien nichts von diesen Reichtuemern; sie wurden gleich nach Portugal verschifft. Tags drauf fuhr ich morgens weiter, zunaechst ins zwei Stunden entfernte Belo Horizonte, der Hauptstadt des Bundesstaats Minas Gerais, drittgroesste Metropolregion Brasiliens und Geburtsort von Lincoln (net Abraham, por supuesto) und Dede. Eine gepflegte, recht wohlhabende, unspektakulaere Stadt, die zu latinotobeschen Ehren kam, weil mein 26-Stunden-Anschlussbus nach Salvador, wie gesagt wie sooft, erst Abends fuhr.

Afrobrasilien

Salvador ist die Hauptstadt Bahias und Geburtsstadt Bebetos, nach meinem kurzen badehosefreien Abstecher ins Landesinnere wieder eine Kuestenstadt. Salvador ist die drittgroesste Stadt Brasiliens (also ohne Metropolregion diesmal, jeder zaehlt, wie er Lust hat) und beherbergt die afrobrasilianische Seele, was man an Sprache (falls man Portugiesisch kann) und Religion (falls man sich fuer die katholische Kirche interessiert) schnell merkt. Ich hingegen habe das mal aus dem dominanten Schwarz der Hautfarbe seiner Bewohner erschlossen. (Auch der Capoeira ist ein Erbe der Sklavenzeit, und Salvador gilt als das Zentrum dieses Kampfsports, o Senhor Plagemann.) Die sehr dunkle Hautfarbe faellt einem naemlich sofort auf. Die meisten Brasilianer, die ich gesehen habe, nicht nur in Florianopolis, sondern auch in Rio de Janeiro oder Belo Horizonte, sind naemlich bei weitem nicht so dunkel, wie es etwa die Zusammensetzung der Selecao einem planlosen, reiselustigen Mitteleuropaeer suggeriert (wenngleich diese Zusammensetzung auch nicht derart unrepraesentativ ist wie jenseits des Rheins). In Salvador wohnte ich bei Pedro und Raphaella, Freunden von Leandro und sehr guten Gastgebern, die mir Stadt und Bars zeigten. Lange konnte ich aber nicht bleiben, denn ich musste weiter, weiter nach Natal, 22 Busstunden noerdlich von Salvador.

Carnatal

In Natal (ohne Fussballspieler, den ich kenne, dafuer wiederum mit zwei national bekannten brasilianischen Schmidts) erhielt ich die tolle Gelegenheit, in die brasilianische Kultur einzutauchen, mich unters normale Volk zu mischen, mal Brasilien von der Einheimischenperspektive zu sehen, verstehen zu lernen, wie das Klischee der lebensfrohen Brasilianer gepraegt wurde, mit anderen Worten: derbst zu feiern (hatt ich ja auch schon lang nicht mehr gemacht). In Natal war naemlich vier Tage Carnatal, eine Art Karneval ausserhalb der Saison, was so aehnlich wie der Karneval in Salvador sein soll (letzterer uebrigens der groesste Straßenkarneval der Welt, die groesste Strassenfassenacht der Welt ist selbstverstaendlich am fuffzischsten Breitengrad). Carnatal (und anscheinend auch Karneval in Salvador) funktioniert sehr lustig: Um zwei grosse Stadien fahren Riesentrucks im Kreis, beladen mit Saengern und bombastischen Lautsprechern. In durch Ordner und Seile fest abgegrenzten Bereichen vor und nach den Trucks tanzen die jeweilige Partycrews, deren Mitglieder klar durch ihre uniformen T-Shirts zu erkennen sind. (Verkleidet ist sonst keiner.) Solche T-Shirts sind unglaublich teuer und schwanken nach Angaben meiner inkonsisten Quellen pro Abend zwischen 40 und 100 Euro. Auf einem Riesengebiet drumherum ist aber auch bestes Remmidemmi, und man kommt so nah an die Trucks heran, dass ich mich frage, weshalb die Leute soviel Kohle dafuer ausgeben. Der ganze Rest hingegen, Skol und Caipirinha und derlei, ist unglaublich guenstig, so dass man auch als Mann des Nordens leicht in die Sambaklaenge findet und den ein oder anderen Brasilianer alt aussehen laesst (zumindest in der eigenen Wahrnehmung zu diesem Zeitpunkt). Nur mein Aeusseres mit Thrice-Shirt (dieser subtile Kommentar zu den Sambaklaengen, den ich persoenlich unglaublich witzig fand, ist natuerlich untergegangen) und Jeans und Frisur haben mich als Gringo identifiziert. (So aehnlich, wie mich auch in Argentinien das mangelnde HiLa zum Auslaender gemacht hat. Floripa war der einzige Ort der Reise, wo ich wirklich nicht aufgefallen bin.) Als einer von einer Handvoll Gringos insgesamt uebrigens, sehr geil! Vier Naechte habe ich da also mein Tanzbein geschwungen, und nun erhole ich Koerper und Geist mit zwei Tagen Strand und vor allem Taking Back Sunday und was die YouFM-Typen noch in ihren Rockwebkanal gestellt haben. Den Strand hatte ich ja noch gar nicht erwaehnt: er und Wetter und Wasser und Waerme passen genauso in die deutschen Brasilienvorstellungen wie die letzten Naechte. Adventsstimmung kommt da schwerlich auf, auch wenn die Brasilianer hinsichtlich Lichterketten und Plastiktannen keinerlei Nachholbedarf haben. Den zweiten Advent feiere ich, hoffentlich aehnlich demuetig und in mich gekehrt, im grossen Finalort meiner kleinen Suedamerikasause, in Sao Luis.